Jahresstatistik 2024  
|  2025-05-08

Rechte Gewalt in Baden-Württemberg: Deutlicher Anstieg – Haupttatmotiv Rassismus, Jugendliche besonders betroffen, queerfeindliche Gewalt verdoppelt

Stuttgart, 8. Mai 2025 – Die Fach- und Beratungsstelle LEUCHTLINIE verzeichnet für das Jahr 2024 einen drastischen Anstieg rechter Gewalt in Baden-Württemberg. Insgesamt wurden 135 Fälle rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt dokumentiert – ein Zuwachs von mehr als einem Drittel gegenüber dem Vorjahr (2023: 99). Mindestens 168 Menschen wurden dabei verletzt, bedroht oder anderweitig angegriffen.

Auch die Anzahl der von LEUCHTLINIE betreuten Beratungsprozesse (162, vgl. 2023: 134) und der beratenen Personen (184, 2023:167) erreichte im Jahr 2024 ihren Höchststand. Rund 30% der Beratungen begannen bereits vor 2024. Eine langfristige Unterstützung ergibt sich teilweise aus der Länge von Gerichtsverfahren, teilweise aus der Schwere der Folgen für die Betroffenen.

Sowohl in der Angriffsstatistik (79) als auch in der Beratungsstatistik (59) zeigte sich Rassismus deutlich als Haupttatmotivation.

Zahl der Angriffe auf Kinder und Jugendliche bleibt hoch
Nahezu ein Drittel der Betroffenen waren Frauen und Mädchen (52 in 44 Fällen). Die Angriffe zielten häufig auf rassifizierte Frauen oder politische Gegnerinnen und reichten von massiven Bedrohungen im Wohnumfeld bis hin zu körperlicher Gewalt im öffentlichen Raum.
Besorgniserregend bleibt auch die Zahl der betroffenen Kinder und Jugendlichen. Obwohl sie im Vergleich zum Vorjahr leicht sank, wurden 2024 in 23 Fällen zehn Kinder und 19 Jugendliche Opfer rechter Gewalt. Ein großer Teil dieser Übergriffe war rassistisch motiviert, insbesondere antiziganistisch. Auffällig: Schulen und andere Bildungsstätten wurden zunehmend zu Tatorten; in fünf Fällen wurden Lehrkräfte oder Erziehende als Täter_innen benannt.

Rassismus bleibt zentrales Tatmotiv
Mit 79 Fällen (59%) war Rassismus erneut das häufigste Tatmotiv. Besonders häufig wurde antimuslimischer Rassismus (19 Fälle), Anti-Schwarzer Rassismus (14) und Antiziganismus (9 Fälle) registriert. Besonders alarmierend: 2024 gingen acht rassistische Angriffe von Polizeibeamt_innen oder staatlichen Vertreter_innen aus – für die Betroffenen oft in hohem Maß belastend, da die juristische Aufarbeitung solcher Fälle meist scheitert und Gewalt durch Repräsentant_innen des Staates sich auch negativ auf das Vertrauen in staatliche Strukturen auswirkt.

Queerfeindliche Gewalt mehr als verdoppelt
Die Zahl der dokumentierten queerfeindlichen Gewalttaten hat sich mehr als verdoppelt: 19 Übergriffe auf Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität wurden erfasst (2023: 9). Die Angriffe fanden vor allem im Wohnumfeld statt, aber auch bei CSD-Veranstaltungen und im Umfeld von Fußballspielen. Besonders beunruhigend ist das verstärkte Auftreten junger extrem rechter Gruppierungen, für die Queerfeindlichkeit als Betätigungsfeld immer wichtiger wird.

„Wir müssen auch die aktuellen Entwicklungen rechter Diskurse und Gewalt im Blick behalten. Für Betroffene ist es wichtig, dass die politische Motivation der Tat gesehen wird und die Taten nicht entpolitisiert werden.“, so Gökay Sofuoglu, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde Baden-Württemberg.

Zunehmende Bedrohungslage im Alltag
Ein drastischer Anstieg wurde auch bei den erfassten Bedrohungen und Nötigungen verzeichnet: Mit 67 Fällen wurde der bisherige Höchststand von 2022 (53) deutlich überschritten. Fast jede zweite Bedrohung hatte ein rassistisches Motiv (30 Fälle), häufig im Zusammenhang mit antimuslimischem Rassismus. Auch queerfeindliche (12) und Bedrohungen gegen Menschen, die als politische Gegner_innen wahrgenommen werden, nahmen zu. Besonders häufig wurden die Menschen im Wohnumfeld angegriffen, aber auch öffentlichen Orten, in Bildungsstätten und im Internet.

Rechte Gewalt im Bildungskontext: Ein wachsendes Problem
Mit 19 dokumentierten Fällen rechter Gewalt in Bildungsstätten – darunter elf Körperverletzungen – rückt ein bisher unterschätzter Bereich ins Zentrum rechter Gewalt. Rassismus war in 15 Fällen das Tatmotiv. Die Beteiligung von Lehrer_innen als Täter_innen in fünf Fällen verdeutlicht die Gefahr des Machtmissbrauchs, die institutionelle Dimension von Rassismus und die Dringlichkeit von Maßnahmen, die darauf antworten – etwa Sensibilisierungsmaßnahmen sowie die Einrichtung von Beschwerdestellen und die Standardisierung von Vorgehen für machtkritische Aufarbeitung.

„Besonders besorgniserregend ist die zunehmende Gewalt in institutionellen Kontexten, in denen Betroffene besonders vulnerabel sind. Als Konsequenz aus vergangenen Vorfällen müssen strukturelle Maßnahmen zur Prävention und Aufarbeitung entwickelt werden“, erklärt Kerstin Müller, Leiterin der Fach- und Beratungsstelle LEUCHTLINIE.

Gewaltintensität steigt weiter
Bei den Körperverletzungsdelikten musste ein Anstieg von fast 20% verzeichnet werden (2023: 51). Insgesamt wurden 60 Körperverletzungen und ein versuchter Mord durch Brandstiftung sechs tateinheitlichen Fällen an einer bewohnten Unterkunft erfasst. Mehr als die Hälfte der dokumentierten Fälle wurde von mehreren Täter_innen verübt.

„Die Zunahme rechter Gewalt ist ein Angriff auf das solidarische Zusammenleben. Besonders beunruhigend ist die Normalisierung von Bedrohungen im Alltag, besonders gegen ohnehin benachteiligte Gruppen, und die Verlagerung rechter Gewalt in Schulen und andere Bildungsräume.“, so LEUCHTLINIE.

 

Die Fach- und Beratungsstelle LEUCHTLINIE ist Teil des Demokratiezentrums Baden-Württemberg und wird finanziert durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg und durch das BMFSFJ im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“. Trägerin ist die Türkische Gemeinde in Baden-Württemberg e.V.

Die Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg, des BMFSFJ oder des BAFzA dar. Für inhaltliche Aussagen und Meinungsäußerungen tragen die Publizierenden dieser

Hilfe für Betroffene von rechter Gewalt

Für alle, die von rechter Gewalt direkt betroffen sind oder Zeugin und Zeuge einer solchen Tat werden, gibt es in Baden-Württemberg die Anlaufstelle LEUCHTLINIE!

Wir beraten anonym, kostenlos, vertraulich. Auch in Deiner Nähe.

Beratungshotline:
0711 / 888 999 33

Dienstag – Donnerstag: 10 – 17 Uhr

E-Mail: kontakt@leuchtlinie.de
PGP Schlüssel downloaden
Internet: www.leuchtlinie.de

Weitere Beiträge: