In eigener Sache
Literaturhaus Stuttgart
30.10.17

Fachtagung: „Rechte Gewalt hinterlässt gravierende Folgen“

Gelungene Fachtagung der Beratungsstelle „LEUCHTLINIE“ am 24.10.2017 im Literaturhaus Stuttgart

„An der Seite der Betroffenen von rechter Gewalt“ - unter diesem Motto veranstaltete die Beratungsstelle LEUCHTLINIE in Zusammenarbeit mit ihrem Träger, der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg e.V., sowie dem Demokratiezentrum Baden-Württemberg am 24.10.2017 eine Fachtagung im Literaturhaus Stuttgart. In Vorträgen und in insgesamt acht Workshops gingen rund 100 Fachleute und Multiplikator_innen der Frage nach, wie es gelingen kann, die Bedürfnisse der Betroffenen von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt mehr in den (öffentlichen) Fokus zu rücken - und erarbeiteten konkrete Strategien für die Praxis.

Thematisierung der Betroffenenperspektive nötig

In drei Begrüßungsreden steckten Heval Demirdögen, Leuchtlinie-Projektleiter, Gökay Sofuoglu, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland und MdL Bärbl Mielich, Staatssektretärin im Ministerium für Soziales und Integration, den Rahmen für das Programm der Tagung ab. So beschrieb Demirdögen, wie das Erstarken rechtspopulistischer Kräfte und die Zunahme pauschalisierender Ausgrenzungsideologien mehr und mehr Ängste in Teilen der Bevölkerung und insbesondere bei potenziellen Betroffenengruppen von rechter Gewalt auslöse. Im Anschluss rückte Sofuoglu genau diese in die Mitte seiner Ansprache, und betonte, dass die Betroffenen sich als Opfer rechter Gewalt anerkannt fühlen müssten. Diese Anerkennung könne primär durch unabhängige Stellen, wie die Opferberatung LEUCHTLINIE erfolgen, sie müsse aber auch seitens der Politik vorgenommen werden, erklärte Sofuoglu. Wo die Anerkennung von Betroffenen als Opfer rechter Gewalt fehle oder versagt werde, könnten sich die psychischen Folgen der erlittenen Gewalt weiter verschärfen. „Opfern gebührt Empathie und Aufmerksamkeit. So werden die Prinzipien unserer Demokratie gestärkt“, schloss Sofuoglu.

„Wehret den Anfängen!“ - diese gemeinsame Zielsetzung von Staat und engagierter Zivilbevölkerung griff Staatssekretärin Bärbl Mielich in der Folge auf. Sie machte klar, dass die Arbeit an der Seite der Betroffenen von rechter Gewalt nicht ausschließlich auf den Schultern engagierter Menschen lasten dürfe. „Der Staat muss im Sinne unserer wehrhaften Demokratie durch  den entschlossenen Einsatz für eine offene und tolerante Gesellschaft zeigen, dass er für die Interessen der Opfer einsteht“, so Mielich.

Besondere psychische Belastung durch rechte Gewalttaten

„Rechte und rassistische Gewalt hat gravierende Folgen für die direkt Betroffenen und ganze Gruppen“. Dies machte Prof. Gesa Köbberling von der Evangelischen Hochschule Freiburg in ihrem Vortrag „An der Seite der Betroffenen von rechter Gewalt - Aufgaben für Soziale Arbeit, zivilgesellschaftliche Akteure und Politik“ gleich zu Beginn klar. „Betroffene von 'hate crimes' sind deutlich schwerwiegenderen psychischen Belastungen ausgesetzt als Betroffene von Delikten ohne diskriminierenden Hintergrund.“ Das Gefühl von Sicherheit gehe bei den Betroffenen verloren, die Furcht, so etwas könne wieder passieren, sei ständig präsent, Misstrauen dominiere. Nicht zuletzt durch die Präsentation ihrer eigenen Forschungsarbeiten stellte Prof. Köbberling die große Bedeutung von Opferhilfen für die Betroffenen heraus, da diese Enttäuschungen seitens der Behörden kompensieren und neue Wege weisen könnten. „Oft hilft es den Betroffenen, wenn sie merken: 'Da ist jemand da für mich'“, so Köbberling.

Erste Workshop-Phase: NSU, Köln, Arbeit mit Geflüchteten und die extreme Rechte

Alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen konnten sich in der Folge aus einem Angebot von acht Workshops je zwei heraussuchen, in denen einzelne Themen mit Hilfe von Expert_innen vertieft wurden. Dabei bestand die erste Workshop-Phase klassisch aus Vorträgen und Diskussion, die zweite widmete sich explizit der interaktiven Vorstellung von Handlungsstrategien.

Zum NSU-Komplex sei bereits sehr viel gesagt - allerdings komme die Sichtweise und Perspektive der Betroffenen dabei meist zu kurz. Diese Auffassung vertrat Dr. Kemal Bozay, Vertretungsprofessor an der Fachhochschule Dortmund, in dem von ihm geleiteten Workshop „Nach dem 'NSU' - Gegen die Marginalisierung der Betroffenenperspektive“. Grund genug also, sich der Frage zu widmen, welche Spuren Rassismus und rechte Gewalt in der migrantischen Community nach den NSU-Morden hinterließen, um dieser endlich eine Stimme zu geben.

In dem Workshop zum Thema „Instrumentalisierung feministischer Ziele im antimuslimischen Rassismus“ forderte Dr. Meltem Kulaçatan von der Universität Frankfurt dazu auf, die sexuelle Dimension im Rassismus mitzudenken. Eine solche Verquickung sei vor allem im Diskurs über die sogenannte Kölner Silvesternacht 2016 zu beobachten gewesen.

Seán McGinley, Leiter der Geschäftsstelle des Flüchtlingsrates Baden-Württemberg, richtete den Fokus in seiner Diskussionsrunde auf eine Betroffenengruppe, die eine der Hauptzielscheibe der (extremen) Rechten in Deutschland ist - Geflüchtete und Engagierte in der Flüchtlingsarbeit. Wie können wir dieser Problematik gesellschaftlich begegnen, wie verhindern wir einen Gewöhnungs- und Abstumpfungsprozess und welche Rolle spielen die Medien bei alledem? Diese und weitere Fragen suchten die Teilnehmer_innen mit McGinley zu beantworten.

Will man sich der Betroffenenperspektive nähern, darf ein Blick auf die hassverbreitenden Akteure dennoch nicht fehlen. So beschäftigte sich der letzte Workshop der ersten Phase mit den Feindbildern und Akteur_innen der extremen Rechten in Baden-Württemberg. Andreas Hässler von der Fachstelle „mobirex“ führte dabei in das Weltbild extrem rechter Akteure und ihrer Ideologie der Ungleichwertigkeit ein.

Zweite Workshop-Phase: interaktive Vorstellung von Handlungsstrategien

Tahir Della musste die letzten Diskussionsfragen während des Zusammenpackens beantworten - auf so viel Resonanz stieß die Vorstellung der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland e.V., in dessen Vorstand Della mitwirkt. Die Präsenz schwarzer Menschen in Geschichte und Gegenwart zu  erhöhen ist das Ziel des Vereins, da sich Deutschland nach wie vor vorrangig als „weiße“ Nation begreife. Hierzu stellte Della wichtige Kampagnen aus der Arbeit des Vereins vor.

Die zweite Workshop-Phase stand programmatisch unter dem Titel der Vorstellung von Handlungsstrategien. Wie das ganz konkret im Umgang mit rechten Stammtischparolen aussehen kann, zeigte Viet Hoang vom Team meX der Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg auf. Eigene Überzeugungen und Stärken nutzbar zu machen zur Erhöhung der Selbstwirksamkeit war Ziel dieses Workshops.

Den Entwicklungen im Netz widmete sich Stephan Ruhmannseder von der Jugendstiftung Baden-Württemberg. Hierzu stellte er die Meldestelle „respect!“ des Demokratiezentrums vor, bei der Kommentare mit beleidigendem, verleumderischem oder gar volksverhetzendem Inhalt in den sozialen Medien gemeldet werden können.

In einem weiteren Workshop stellte Sonja Großhans von der Fachstelle Rechtsextremismus des Landratsamts Rems-Murr-Kreis beispielhaft lokale zivilgesellschaftliche Bündnisse vor. Dabei kamen besonders Hindernisse und Lösungsansätze für das dauerhafte Bestehen zivilgesellschaftlichen Engagements zur Sprache.

Mit Humor gegen Rassismus

Bereits vor Beginn der Tagung und in der Mittagspause sorgte Noah Kwaku mit Gitarre und Gesang für eine entspannte Atmosphäre. Und dass die Auseinandersetzung mit den Themen Diskriminierung und Rassismus auch auf humorvolle Weise möglich ist, bewies zum Abschluss des Fachtages der Comedian Fatih Çevikkollu, der mit bitter-böser Satire und klugem Wortwitz die Dinge auf den Punkt brachte – und dafür sorgte, dass die Fachleute trotz des Ernstes der Themen die Veranstaltung mit einem Lachen im Gesicht verließen.

(Manuel Schönberg, Oktober 2017)